Zwischen Freund und Feind. Was dein Gegenüber alles für dich sein kann.

30 Jan 2019 23:03 Von Philipp Karch

Du wünschst dir ein Leben voller Ärger? Wunderbar, denn Ärger steht für Lebendigkeit. Und was ist schöner als ein lebendiges Leben? Als Grundregel: Je negativer du dein Gegenüber betrachtest, desto größer dein Ärger und desto größer die gefühlte Lebendigkeit.

Sieh in deinem Gegenüber am besten einen Feind, der eine reale Überlebensgefahr für dich ist. Wenn es dafür nicht reicht, dann erkenne in ihm einen Konkurrenten, der dir etwas streitig machen könnte. Und wenn auch das nicht ganz klappt, dann behandle ihn zumindest als ein Instrument – reicht völlig, um immer wieder Ärger zu generieren. Was du lieber lässt: Dein Gegenüber für einen Kooperationspartner zu halten. Und was du auf keinen Fall tun solltest: In ihm gar einen Freund zu sehen. 

Entscheide bei jeder Begegnung immer wieder neu, welche der genannten fünf Rollen jeweils am besten passt:

Dein Gegenüber als Feind (Nr. 1)

Wer auch immer vor dir sitzt, ob Chef oder Kollegin, Mitarbeiterin oder Praktikant, Kunde oder Lieferantin, sieh in ihnen stets eine Gefahr. Sie werden dich unterbrechen oder dir nicht zuhören, dich nicht ernstnehmen oder dir etwas wegnehmen, dich aufhalten oder dich warten lassen. Es gibt unendliche viele Kränkungsoptionen, traue ihnen alles zu. Betrachte grundsätzlich alle deine Mitmenschen als Feinde. 

Wenn dir das gelingt, dann bist du immer in Gefahr, denn Feinde bedrohen Existenzielles von dir. Sie nehmen dir etwas weg, was dir wichtig oder sogar heilig ist oder sie verabreichen dir etwas, was du nicht haben willst. Oder sie verjagen dich vom Hof, weil du störst. Wem du so etwas zutraust, über den musst du dich zwangsläufig ärgern

> Ärger-Wahrscheinlichkeit: 100 Prozent

Dein Gegenüber als Konkurrent (Nr. 2)

Wenn Feind zu weit weg ist von der Realität, betrachte dein Gegenüber zumindest als Konkurrent. Jemand, der wie du etwas haben willst, was begrenzt ist. Ob das letzte Druckerpapier im Kopierer oder das letzte Snickers im Kühlschrank, sie nehmen es dir weg. 

Wer die Welt durch die Brille der Konkurrenz sieht, sieht in jeder Situation eine Verlustgefahr. Du musst ständig auf der Hut sein, dass dir niemand ein knappes Gut streitig macht. Und wer in der Kategorie «streitig» denkt, der hat den Ärger gleich mitgebucht.

> Ärger-Wahrscheinlichkeit: 80 Prozent

Dein Gegenüber als Instrument (Nr. 3)

Falls auch Konkurrent nicht mehr anwendbar erscheint, empfehle ich dir zumindest das Konzept Instrument. Sieh in deinem Gegenüber einen bloßen Erfüllungsgehilfen für deine Bedürfnisse. Wie ein lästiges Übel umgarnst du ihn solange, wie du ihn brauchst, um ihn im Anschluss sofort fallenzulassen. Wie eine heiße Kartoffel. In jeder Sekunde, in der dein Instrument nicht optimal liefert, entsteht Ärger über die Zeitverschwendung. 

Du musst es noch einmal erklären? Wunderbar, Ärger kommt auf. Er macht irgendwelche vermeidbaren Umwege. Wunderbar, schon wieder Ärger. Er will nach Abschluss des Projekts noch einmal deine Aufmerksamkeit für eigene Belange. Wunderbar, schon wieder Ärger.

> Ärger-Wahrscheinlichkeit: 60 Prozent

Dein Gegenüber als Kooperationspartner (Nr. 4)

Was ich dir hingegen nicht empfehlen kann, ist die Betrachtung deines Gegenübers als Kooperationspartner. Wenn du das tust, wenn du ihm auf Augenhöhe und mit einem gemeinsamen Ziel begegnest, wie willst du dich dann ärgern können? Wenn ihr am gleichen Strang zieht und euch mit der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegt, wie soll da Wut aufkommen? Nein, ich kann nur dringend von partnerschaftlichen Ansätzen abraten. Es sei denn, du willst konstruktiv, wertschätzend und effizient ans Ziel gelangen.

> Ärger-Wahrscheinlichkeit: 40 Prozent

Dein Gegenüber als Freund (Nr. 5)

Und noch schlimmer als ein partnerschaftlicher Ansatz ist die Herangehensweise als Freund. Wenn dir das passiert, ist Ärger fast ausgeschlossen. Denn wer seinen Kollegen auf diese Weise begegnet, lässt Ego und Angst aus dem Spiel. Getreu dem Motto «Dein Glück ist mein Glück und dein Leid ist mein Leid». Menschen so zu begegnen, als wären deren Bedürfnisse die eigenen, führt zu einem Gefühl von Nähe und Verbundenheit. Und das sind krasse Gegner von Ärger. Unbedingt lassen …

> Ärger-Wahrscheinlichkeit: 20 Prozent

Fazit

Siehst du im anderen einen Feind, einen Konkurrenten oder einen Instrument, wird der Ärger nicht lange auf sich warten lassen. Siehst du im Anderen hingegen einen Kooperationspartner oder gar einen Freund, ärgerst du dich sicher weniger oder vielleicht sogar gar nicht.

Wähle weise und entscheide immer wieder neu. 


... und ab nächster Woche dann Woche für Woche ein Kurzauszug aus dem Buch "Was mich ärgert, entscheide ich! Konflikte klug bewältigen." Damit du schon bald sagen kannst: "Ärger war gestern!" ;-)