Es gibt günstigen Ärger. Und ungünstigen.

15 Jan 2019 10:41 Von Philipp Karch
Günstiger Ärger ist dein notwendiger Katalysator zur Selbstbehauptung. Ungünstiger Ärger hingegen die reinste Energie- und Zeitverschwendung. Finde den goldenen Mittelweg zwischen Schweigen wie ein scheues Reh und Schreien wie ein aufgebrachter Gorilla.

Günster Ärger als eine Art "Bio-Katalysator"

Günstiger Ärger ist jener Ärger, der dir hilft, dich in schwierigen Situationen nicht zu verstecken, sondern entschlossen in Erscheinung zu treten. Du spürst Ärger meist dann, wenn wichtige Werte und dadurch deine Integrität in Gefahr sind. Der aufkommende Ärger übernimmt in diesen Momenten die Aufgabe, dich daran zu erinnern, dass etwas Wichtiges auf dem Spiel steht. 

Wenn also die Gefahr besteht, dass du etwas Wesentliches dauerhaft verlierst, dann hilft dir der Ärger in seiner günstigen Ausprägung, dich zu zeigen und dich zu behaupten. In dieser Funktion können wir den günstigen Ärger als eine Art „Bio-Katalysator“ betrachten: eine natürliche Kraftquelle zur Überwindung einer anfänglichen Hemmung.  Denn wer sich nicht ärgern kann, kann sich nicht wehren. Und wer sich nicht wehren kann, dem droht die Opferrolle.

Kein Ärger = Kein Mut

Warum braucht es eine solche Aktivierungsenergie? 
Wer gegen Widerstände im Außen aufbegehrt, geht ein Risiko ein, zu scheitern oder sogar abgelehnt zu werden. Diese Risikowahrnehmung führt häufig zu einem Angstempfinden. Du fühlst dich vielleicht geschwächt, aufgeschmissen, blockiert, manchmal sogar gelähmt. In solchen Situationen hilft dir der günstige Ärger, Risiken einzugehen. Er tritt dir liebevoll in den Arsch, treibt dich an und lässt dich denken: „So nicht, Freunde der Sonne, so nicht. Nicht mit mir!“

Wenn dir jedoch der Mut fehlt, dann spürst du ungünstigen Ärger, der sich in zwei ganz unterschiedlichen Ausdrucksformen zeigen kann. Du kannst ihn dir vorstellen wie die zwei Enden eines Kontinuums: Das scheue Reh auf der "linken, unterdrückten Seite" und den aufbrausenden Gorilla auf der "rechten, erdrückenden Seite".

Das scheue Reh = ungünstiger Ärger Nr. 1

An dem einen Ende des Kontinuums steht das scheue Reh mit der Haltung „Ich verstecke mich und meinen Ärger“. 

Im Außen gibt es eine aus Deiner Sicht unerwünschte Situation, nennen wir sie einen Zustand „inakzeptabler Ungerechtigkeit“. Du würdest gerne etwas sagen, aber du traust dich nicht. Oder du verdrängst die Wichtigkeit und merkst erst später, dass du etwas hättest sagen wollen. Oder du schaust dich um und hoffst, dass ein anderer mutig genug ist, etwas zu sagen. 

Wieso auch immer du dich gerade zurückhältst, ein typischer Gedanke in so einem Moment könnte lauten: „Eigentlich müsste was gesagt werden, aber ich warte jetzt erst mal ab!“ Wer so denkt, verpasst gerne mal das oft winzige Zeitfenster. Ich weiß, wovon ich rede. 

Der aufbrausende Gorilla = ungünstiger Ärger Nr. 2

Am anderen Ende befindet sich der aufbrausende Gorilla mit der Haltung: „Ich haue meinen Ärger jetzt einfach mal raus, mir doch egal!“. 

Es sind jene Momente, in denen wir den aufgestauten Ärger nicht länger (aus-)halten können oder wollen und unkontrolliert ausflippen. Gerne auch zeitversetzt. Gerne auch vor „unschuldigen“ Dritten. Fragt meine Frau oder meinen Sohn oder meine Tochter ...

Recht häufig verspürst du kurz darauf Reue und Scham, weil nach deinem impulsiven Wutausbruch die Dinge nicht unbedingt besser geworden sind.

Der günstige Ärger als goldene Mitte

Wenn du dir diese beiden Enden des "Ärgerbewältigungsspektrums" anschaust, erkennst du die goldene Mitte. Es ist jene Stelle, an der dein Auftritt situationsgerecht passt. 

In einem passenden Moment mit passenden Worten den passenden Personen ein konstruktiv-wertschätzendes Feedback zu geben – das ist die hohe Kunst des günstigen Ärgers. 

Fazit

Zeitlich betrachtet durchläufst du drei Ärgermomente. Es beginnt mit dem Zeitraum für die erste Variante von ungünstigem Ärger (du unterdrückst deinen Ärger), der in günstigen Ärger übergeht (du drückst deinen Ärger wohlwollend-lösungsorientiert aus) und schließlich in die zweite Variante von ungünstigem Ärger mündet (du erdrückst andere mit deinem Ärger). 

Wenn wir dieses Kontinuum als Zeitstrahl begreifen, ließe sich festhalten: Vom Unterdrücken über das Ausdrücken zum Erdrücken – du hast die Wahl. Jedes Mal. 

Wir unterscheiden also ungünstigem Ärger an den beiden Enden des Kontinuums und günstigen Ärger in der Mitte. Günstiger Ärger ist dein notwendiger Katalysator zur Selbstbehauptung, ungünstiger Ärger die reinste Energie- und Zeitverschwendung. 

Finde den goldenen Mittelweg zwischen Schweigen (scheues Reh) und Schreien (aufbrausender Gorilla). Wenn du hierüber etwas mehr erfahren willst, dann schau mal ins Fachbuch "Was mich ärgert, entscheide ich. Konflikte klug bewältigen".